Claudian: Panegyricus de sexto consulatu Honorii Augusti. Ed. with Introd., Transl. and Literary Comment. by M. Dewar. Oxford 1996.



In der Reihe der Einzelkommentare zum Werke des wohl bedeutendsten profanen Dichters der lateinischen Spätantike fehlte bislang eine gründliche Bearbeitung des letzten großen Panegyricus, den Claudian am 1. Januar des Jahres 404 im Rahmen der Feierlichkeiten zum Konsulatsantritt des Honorius in Rom vortrug. Dewar hat diese Lücke geschlossen.

Der Kommentar interessiert in erster Linie den Philologen, denn er konzentriert sich auf literarische und sprachliche Erklärungen, auf Claudians panegyrische Technik, Erzählstruktur, Sprache und Metrum sowie die Anklänge an lateinische und griechische Vorbilder (VIII). Für den Historiker von Interesse ist der Text als ein Hauptzeugnis für den ersten Einfall Alarichs in Italien sowie für das Verhältnis Stilichos zum römischen Senat und den sich schließlich daraus ergebenden Sturz Stilichos.

Nur die wichtigste Literatur wird vorweg in einem Abkürzungsverzeichnis (XIII-XVI) genannt, Einzeluntersuchungen jeweils an Ort und Stelle. Die Einführung (XVII-LVII) umfaßt 6 mehr oder weniger knappe Kapitel: 1. Einen Überblick über Claudians Leben und Werke, v. a. gestützt auf die Arbeiten von A. Cameron. In der Frage nach dem Christentum Claudians schließt sich D. der Untersuchung von J. Vanderspoel (CQ 36, 1986, 244ff.) an, der zu dem Ergebnis gekommen war, Claudian habe bestenfalls das Christentum toleriert (XX). Wichtig ist ebenda der Hinweis, daß Claudian bei aller paganen literarischen Tradition seines Werkes nirgendwo den Eindruck propaganer Propaganda erweckt. Über die einzelnen Werke Claudians erfährt man aber in diesem Kapitel nichts. Kapitel 2 bietet einen Überblick über die lateinische Panegyrik. Eine Wurzel sieht D. in der laudatio funebris, und als erster Verspanegyricus ist der auf Messalla im Corpus Tibullianum greifbar, während die Nachrichten über einen Panegyricus der Varius auf Augustus unsicher sind. Wichtig für die weitere Entwicklung der Gattung wird Statius, aus dessen panegyrischer Dichtung D. einige Charakteristica ableitet: Metrische Vielfalt, relative Kürze, persönlicher Bezug des Dichters zu dem Geehrten und damit einen mehr oder weniger privaten Charakter der Dichtung, während die offiziellen Anlässe wie die Gratiarum actio bei Konsulatsantritt eine Domäne des Prosa-Enkomiums blieben, das sich auf das hellenistische Königtum zurückführen läßt; Anleitung dazu boten griechische rhetorische Handbücher (XXIIIf.). Claudians Neuerung besteht in der Ausweitung der Verspanegyrik auf Kosten der Prosapanegyrik, wodurch er größere dichterische Freiheit gewann. Verspanegyrik war von da an für offizielle wie private Anlässe möglich (XXV). So wird Claudian zu Recht eingereiht in die großen Neuerer der lateinischen Literatur. Dabei wendet er jetzt die Vorschriften an, welche die griechischen Handbücher boten, ohne jedoch seine Flexibilität aufzugeben (XXVI). So kann D. zeigen, daß der vorliegenden Panegyricus nicht nur einen basiliko\j lo/goj darstellt, sondern auch Elemente des e)pibath/rioj lo/goj aus Anlaß eines adventus enthält (XXVII); dazu treten epische Motive (XXVIII). Das 3. und umfangreichste Kapitel der Einleitung behandelt Alarichs erstes Eindringen nach Italien. Die Bedrohung Roms führt zu einer Gesandtschaft des Symmachus an den Mailänder Hof. Daß in diesem Zusammenhang auch die alte Senatsforderung nach Wiederaufstellung des Victoria-Altars vorgebracht wurde, hält D. nach den Untersuchungen von Barnes (AJPh 97, 1976, 373ff.) für erwiesen und interpretiert die Verse 597ff. des Panegyricus entsprechend. Nicht nur für den Panegyricus, sondern auch für Claudians Gotenkriegsgedicht sowie für Prudentius, Contra Symmachum 2 ist die Beurteilung der Schlacht von Pollentia von Bedeutung, die XXXIIIff. diskutiert wird, denn das Verhalten Stilichos gegenüber Alarich einerseits und die Beziehung zum Senat in Rom andererseits sind nur aus der Sorge für die Sicherheit Italiens und besonders Roms verständlich. Dabei wird Halls Versuch (Philologus 132, 1988, 245 ff.), die Schlachten von Pollentia und Verona in das Jahr 403 zu datieren, im Anschluß an die Replik von von Cesa und Sivan (Historia 39, 1990, 361ff.) zurückgewiesen. Im Kapitel über das Verhältnis Stilichos zum römischen Senat wird vor allem auf die ökonomischen Probleme hingewiesen. War doch den Senatoren als den Eigentümern großer Latifundien durch die gotische Invasion enormer Schaden entstanden. Das Problem für Stilicho und damit für seinen Panegyriker bestand in der Rechtfertigung eines offenbar allzu nachsichtigen Vorgehens gegen Alarich. Doch alle brillante Eloquenz Claudians konnte nach D. den Senat offenbar nicht überzeugen, zumal der Einfall des Radagaisus im folgenden Jahr wiederum zeigte, daß Stilicho nicht in der Lage war, die Barbaren von den Grenzen Italiens fernzuhalten. Trotz der Vernichtung der Goten bei Fiesole nahm der Verdacht des Verrats gegenüber Stilicho zu. Als dann noch in den letzten Tagen des Jahres 406 die Rheinfront unter dem Ansturm germanischer Stämme zusammenbrach, nahm Stilicho wieder Verhandlungen mit Alarich auf und forderte Subsidien für die Goten. Im Senat regte sich Widerstand, der in seiner letzten Konsequenz zur Absetzung und Hinrichtung Stilichos 408 führte (LIf.). Die Darstellung von D. macht deutlich, wie hinter diesem letzten Panegyricus Claudians, der zwar formell dem Konsulatsantritt des Honorius gilt, dessen eigentlicher Held jedoch Stilicho ist (XIX), die ganze Problematik des Niedergangs Stilichos sichtbar wird. Das kanppe Kapitel über Metrik, Grammatik und sprachlichen Ausdruck gibt eine allgemeine Charakteristik von Claudians hexametrischer Dichtung, die mehr in der Tradition eines Ovid und Statius als eines Vergil steht. Für Einzelheiten wird auf den Kommentar verwiesen. Der streng klassische Gebrauch des Hexameters, insbesondere mit der Vermeidung von Elisionen, wurde bereits von Birt nachgewiesen und muß daher sinnvollerweise nur durch einige Beispiele illustriert werden. Der Text basiert nicht auf eigenen handschriftlichen Untersuchungen, sondern auf den Ausgaben von Birt und Hall mit einem vereinfachten Apparat, wie ihn schon Claire Gruzelier in ihrer Ausgabe von De raptu Proserpinae (Oxford 1993) verwendet hatte: Mit x werden Lesarten bezeichnet, die auf die Antike zurückzuführen sind, mit solche, die nur in wenigen Hss. überliefert und als falsch oder Konjektur angesehen werden. Die Konjekturen jüngerer namentlich bekannter Gelehrter werden zusätzlich angeführt. Die Übersetzung versteht sich als Prosaparaphrase und Verständnishilfe und will ausdrücklich den Originaltext nicht ersetzen.(VIII). Der Lemmata-Kommentar, auf dessen reiche Infromation hier im einzelnen nicht eingegangen werden kann, besticht durch seine Gründlichkeit und Ausführlichkeit. Besonders leserfreundlich ist er nicht nur dadurch, daß er entscheidende Passagen der Parallel- oder Quellentext ausschreibt, sondern auch das reiche Material durch Indices erschließt. D. hat ein vorzügliches Arbeitsinstrument nicht nur für die Beschäftigung mit Claudian und mit der spätantiken Panegyrik, sondern für jeden an der Blütezeit der spätantiken lateinischen Literatur um 400 Interessierten geliefert.