L. J. E n g e l s und H. H o f m a n n (Hrsgg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 4: Spätantike. Wiesbaden (Aula) 1997. XVIII, 758 S. zahlreiche Abb. DM 258.-.

Die folgenden Ausführungen ergänzen die Rezension des Handbuchs, die im Gymnasium 106, 1999, 363 - 365 erschienen ist. Aus Platzgründen mußte dort auf Einzelkritik verzichtet werden, die hier nachgeholt werden soll, denn die Stärken und Schwächen eines Handbuchs zeigen sich in den Details.Unsere Überlegungen gehen dabei von folgenden Prämissen aus:

1. Ein Handbuch dieser Art wendet sich weniger an den Spezialisten (der allerdings auch daraus Gewinn ziehen sollte) als vielmehr an den literaturwissenschaftlich Interessierten, der über die Literatur diese Epoche rasch, präzise und möglichst umfassend informiert werden will, der den literaturwissenschaftlichen Diskussionsstand kennenlernen und der die entsprechenden Hinweise für eine Vertiefung der Informationen erhalten will. Er sucht also Auskunft

- über einzelne Werke, bei bedeutenderen Werken auch über Inhalt, Tendenz, Stand der wissenschaftlichen Diskussion;

- über Vita und Werke gerade der bedeutenderen Autoren im Zusammenhang;

- über den Verlauf der Literaturgeschichte als eines Kontinuums innerhalb der Epoche oder über Diskontinuität;

- über die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen, die diese Literatur erst ermöglichen, also den "Sitz im Leben";

- über die Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst.

Dabei ist auch an Leser zu denken, die des Lateinischen oder gar Griechischen nur wenig kundig sind, die daher Begriffe oder Textpassagen verdolmetscht bekommen müssen, ohne daß die Originalform unterdrückt wird. D.h. längere Zitate sollten außer im Original-Wortlaut auch übersetzt werden; gelegentlich ist das geschehen, an anderen Stellen sind aus einem Zitat nur einzelne Begriffe übersetzt; besonders kurios S. 15, wo aus einem lateinischen Zitat von drei Zeilen nur die Zahlzeichen VIII und XXVII übersetzt sind. Rechnet der Autor mit Lesern, die nicht einmal die römischen Zahlzeichen kennen? Manches könnte auch in einem erklärenden Index der Fachtermini untergebracht werden.

Außerdem darf der Leser ein Verweissystem erwarten, das ihn mit Hilfe von Textveweisen und differenzierenden Indices rasch und sicher durch die Materialfülle führt.

Ausgehend von diesen Prämissen läßt sich schon am einleitenden Beitrag von A. Demandt, Die Spätantike als Epoche, folgendes beobachten:

Grundsätzlich darf wohl die Darstellung der Geschichte einer Epoche von ca. 300 Jahren auf etwas mehr als 20 Seiten Text (das Handbuch hat insgesamt über 750 Seiten) als von vornherein zu knapp angesehen werden. Der Zwang zur Verkürzung führt nicht selten zu Verallgemeinerungen und Vereinfachungen, die entweder in ihrer Kürze problematisch oder für den Nichtfachmann unverständlich sind. Als Beispiele sei folgende Formulierung genannt:

S. 3 "Im Zuge einer Münz- und Steuerreform ließ der Kaiser die gesamte Landbevölkerung in Steuerlisten erfassen (capitatio-iugatio). Dies förderte die Tendenz zur Schollenbindung der Bauern."

Weder wird der Nichtfachmann mit den Begriffen capitatio und iugatio ohne Erklärung etwas anfangen können (ebenso S. 15 mit dem Begriff Liturgie) noch dürfte ihm das logische Verhältnis der beiden Sätze klar sein.

S. 6f. spricht Demandt, wie schon in seiner Darstellung im HAW, 425, fälschlich von der Entfernung der Victoria-Statue. Die Texte sprechen jedoch eindeutig nur von der Entfernung des Altars; vgl. R. Klein, Symmachus, Darmstadt 1971, 101; richtig Hofmann S. 416.

Die Zusammenfassung unter einer Gattungsüberschrift ist für anonym überlieferten Werke das einzig mögliche Verfahren; das wird in allen Handbüchern so praktiziert. Dem äußeren literaturtheoretischen Zwang einer Darstellung nach Gattungen aber die geschlossene Darstellung der großen Autoren zu opfern, ist eine andere Sache. Autoren, die Werke verschiedener Gattungen verfaßt haben, bleiben in der Regel in diesem Handbuch schemenhaft. Die Daten der Viten muß man sich mit Hilfe des unzureichenden Indexes zusammensuchen. So wird etwa bei Demandt S. 5f. kurz Julian besprochen. Anm. 15 verweist überflüssigerweise auf die im Literaturverzeichnis sowieso schon genannten Werke von Bidez und Klein, Anm. 16 werden Editionen seiner Schriften genannt, ebenso S. 351 (dort genauer zu den Briefen); keine Angaben finden sich jedoch zur Edition der Reden im Beitrag von den Boeft (auf den verwiesen wird).

Wer sich über den Stand der Editionen informieren will, ist in der Regel, wie das Beispiel Julian zeigt, darauf angewiesen, die im Index genannten Seiten nachzuschlagen (bei Julian 23 Verweise); der Erfolg bleibt unsicher.

Im Zusammenhang mit Julian kommt Demandt S. 6 auf Ammianus Marcellinus zu sprechen, dem bedeutendsten Historiker der Spätantike, den Mommsen noch über Tacitus stellte, dem aber Hofmann 413ff. einen Text im Umfang von kaum mehr als einer Seite widmet, dazu fünf Titel aus der reichen Literatur ; Ausgaben und Kommentare sind nicht genannt.

Das Verweissystem ist völlig unzureichend. Da ein Sach- oder Begriffsindex fehlt, muß der Benutzer mehr oder weniger gezielt suchen. Demandt behandelt auf S. 1 kurz das Periodisierungsproblem aus der Sicht der politischen Geschichte und sagt zu Recht, daß im Bereich der Kulturgeschichte die Übergänge noch schwerer zu fassen seien. Es fehlt aber jeder Hinweis darauf, daß das Problem im Beitrag von Engels/Hofmann S. 29 und von Engels S. 601 ff. wieder aufgegriffen wird.

Auch in den Literaturangaben vermißt man jegliche Systematik. Eine ganze Reihe von Titeln ist mehrfach genannt, so aus dem Beitrag von Demandt auf S. 24 Herzog/Koselleck (wiederholt S. 81), S. 81 Fuhrmann, Rom in der Spätantike (wiederholt S. 627). Andere Zitierweisen variieren. So wird z.B. Fuhrmanns Aufsatz über die Romidee der Spätantike, der zuerst in HZ 207, 1968 erschien und in "Brechungen" wiederabgedruckt wurde (S. 81), auf S. 465 nur als Wiederabdruck in Kytzlers Sammelband "Rom als Idee" angeführt, ohne Seitenangaben. Exemplarisch auch Demandt S. 15: Er nennt die Schrift Notitia urbis und in der dazugehörigen Anm. 53 die Edition von A. Nordh, in der die Schrift den Titel Libellus de regionibus Urbis Romae trägt. Unter diesem Titel findet man die Schrift auch im Register S. 757, aber mit Verweis auf S. 426, wo wiederum nur der Werktitel genannt ist, ohne Hinweis auf die Edition (oder wenigstens „vgl. S. 15"). Der Titel Notitia Urbis fehlt dagegen auf S. 757, dafür wird man (korrekt) auf die Notitia urbis Constantinopolitanae verwiesen, die im gleichen Zusammenhang auf S. 426, wiederum ohne Editionsangabe, zitiert wird.

Die Abstimmung unter den einzelnen Artikeln läßt aber auch sonst zu wünschen übrig. So vermeidet z.B. Demandt mit Recht den historisch nicht haltbaren Begriff der Reichsteilung (nach dem Tod des Theodosius 395), betont 11f. vielmehr, daß das Imperium stets eine Einheit bildete. Engels 601 sagt, daß die Ostkaiser an ihren Ansprüchen auf Zugehörigkeit des Westreichs zum einen Römischen Reich festhielten, Hofmann dagegen sprich mehrfach (30, 53) unreflektiert von Reichsteilung, und der Begriff erscheint auch in der Zeittafel 720f. Das ist nicht nur nachlässig, sondern ärgerlich und für den Nichtfachmann verwirrend. Überflüssige Wiederholungen wären vermeidbar, wie z.B. die Abschnitte über die Märtyrerakten S. 106f. und S. 445 (ohne Verweise!).

Ähnlich unzureichend, weil völlig fehlend, ist das Verweissystem in Hinblick auf die in der Regel schlechten Abbildungen. Sie sind nicht durchnumeriert. Das ist unproblematisch wie auf S. 3, wo Diokletians Palast in Split im Text erwähnt und auf der gleichen Seite abgebildet wird. S. 7 ist von dem Missorium des Theodosius und und Stilichos Elfenbeindiptychon die Rede. Die Abbildung des Missoriums findet sich auf S. 306, die des Diptychons auf S. 504 - ohne jeden Hinweis im Text. Die Informationen zu den Abbildungen sind teilweise lückenhaft. Ein Hinweis z.B. bei der Reiderschen Tafel S. 96 auf „München" müßte, angesichts der zahlreichen Münchner Sammlungen, durch „Bayerisches Nationalmuseum" ergänzt werden. Nützlich wäre auch eine Maßangabe (hier: Höhe 18,7 cm). Korrekt dagegen S. 5, 22, 110, 123 u.ö.

Jegliche Systematik fehlt auch, man muß es noch einmal betonen, in der Nennung der Titel. Dafür sei der Beitrag über die Fachwissenschaften von Klaus Sallmann genannt. S. 199 nennt er den Werktitel des Theon von Smyrna deutsch und griechisch, dankenswerterweise in griechischer Schrift, anschließend die Arithmetika des Diophantos in lateinischer Umschrift, S. 200 Pappos deutsch und griechisch, S. 202 Anatolios nur mit deutschen Werktiteln, ebenso S. 201 Kleomedes, dagegen S. 204 Arrianos nur griechisch ohne deutsche Übersetzung usf.

Errata:

S. 4 De mortibus persecutorum

S. 28: Anm. 73 fehlt



 

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