Des Konrad Celtis öffentliche Rede an der Universität Ingolstadt


1 Ich hätte es nicht für etwas Bedeutendes gehalten, hochangesehene Herrn und vortreffliche Jünglinge, als Deutscher und euer Landsmann zu euch Lateinisch reden zu können, wenn die alten Fähigkeiten unseres deutschen Landes noch in Blüte stünden und jene Zeit zurückgekehrt wäre, in der nach der Überlieferung unsere Gesandten sogar lieber in griechischer als in lateinischer Sprache sprechen wollten. (2) Aber weil durch die Ungunst der Jahrhunderte und den Wandel der Zeiten nicht bloß bei uns, sondern auch bei der Stammutter und Urahnin der Künste und Wissenschaften, Italien nämlich, jeder einst vorhandene Glanz der Bildung ausgelöscht wurde und zugrunde ging und durch barbarisehe Erschütterungen alle edlen geistigen und kulturellen Betätigungen weichen mußten und vernichtet wurden, traue ich mir nicht ohne weiteres zu, bei der Trägheit meines Geistes und der Schwäche meiner Kräfte auf hinreichende Weise Lateinisch vor euch sprechen zu können. Dabei bin ich mir durchaus bewußt, daß auch mir das nicht abging, was sehr viele von euch schon an sich erfahren haben, jetzt aber vermissen, nämlich angestrengte Tätigkeit und tüchtige Unterweisung. (3) Damit man mir aber nicht den Vorwurf machen kann, ich sei völlig stumm an diesen Ort gekommen, der durch eure Anwesenheit höchste Auszeichnung erfährt, wollte ich lieber durch mein Stammeln Anstoß erregen als eure Liebe zu mir und zur Gelehrtenrepublik mit Stillschweigen übergehen, in der begründeten Hoffnung, daß mir von euch verziehen werde, wenn ihr bedenkt, daß ein armseliger Mensch, der mitten im Barbarenland und sozusagen im Weindunst geboren wurde, weniger nüchtern reden kann, als eure trefflich geschulten Ohren und diese Stellung es erfordern, die mir auf Staatskosteil für Rede und Dichtkunst von unserem erlauchtesten Fürsten Georg und von euch hochberühmten Männern, die ihr in alle seine Pläne eingeweiht seid, angewiesen wurde.

2 Ich habe mich aber entschieden, vor euch durchaus nichts Würdigeres und Angenehmeres zu sagen, was sowohl mir mehr anstünde als auch euch zu hören ziemte, als daß ich eure Herzen zur Tugend und zum Studium der bedentendsten Wissenschaften emunterte. (2) Wie leicht kann dadurch wahres Ansehen, unsterblicher Rahin und echtes Glück in diesem unserem so kurz bemessenen Leben erworben werden! (3) Keiner von euch darf als so schwerfällig und träge befunden werden, daß er es nicht für schön, ehrenvoll und prächtig hielte, für diese ganz großen Dinge, die glücklich machen können, zu kämpfen. (4) Ich glaubte auch nicht, hier und jetzt über die äußeren Güter des Glücks oder des Körpers oder über die Vergnügen, die wertlose, sklavische Menschen pflegen und die das Licht des Geistes auslöschen, mit besonderem Scharfsinn sprechen zu müssen, weil all dlas unbeständig und hinfällig ist und zusammen mit dein eigenen Leib in einem kurzen Augenblick zugrundegehen oder bald andere Herren haben wird. (5) Deshalb ist kein Weiser bekannt, der für diese Dinge. gekämpft hat, vielmehr finden wir, wenn wir das Leben jener Männer genau betrachten, daß bei ihnen eine so große Liebe zu Gelehrsamkeit und Weisheit, an der sich der menschliche Geist wie an Nektar und Ambrosia labt, vorhanden war, dlaß sie, um sie zu gewinnen, ihre Heimat, ihre Frauen und lieben Kinder verließen, riesige Vermögen ausgaben, Ungerechtigkeiten, Schmähungen und üble Nachrede beim gemeinen Volk und sogar Verbannung mit höchster Geduld und Ruhe ertrugen. (6) Man weiß außerdem, daß sie Mühen, Kälte und Hitze und schwierigste Reisen freiwillig auf sich nahmen, wie wenn sie das, was sie sowohl durch ihr Nachdenken, dem in gewisser Hinsicht sehr enge Grenzen gesetzt sind, als auch durch häufige Lektüre mühsam. herausgefunden hatten, auch mit den Sinnen erfassen und sehen wollten. (7) Soviel vermochte ein unglaublicher Eifer für den Erwerb der Weisheit und eine Liebe zur Erforschung der Dinge am Himmel und in der Natur; dafür haben sie schließlich göttliche Ehren erlangt und werden durch große Verehrung und Achtung in aller Zukunft einen unsterblichen Namen haben und Philosophen genannt werden.

3 Das Volk der Skythenmenschen ist nach der Art wilder Tiere so roh, ungebildet und schauderhaft, daß sie in wüsten und unzugänglichen öden Regionen wie Vieh umherirren, wobei sie sich mir mit Fellen wilder Tiere und deren Häuten, wovon sie ihren Namen haben, vor der rauben Witterung und der Härte jenes Klimas schützen. (2) Und doch hatte sie ein solches Verlangen nach Ruhm und Anerkennung befallen, daß sie dreimal Asien unterjochten und beherrschten; kein Gold, kein Silber, Dinge, nach denen wir so gierig verlangen, schleppten sie fort, sondern sie hielten es für ruhmvoller, wenn es einmal von ihnen hieße, sie hätten ihrer Tüchtigkeit noch eine so glanzvolle und so mächtige Herrschaft hinzugewonnen. So liefert uns ein barbarisches Volk gewichtige Beweise dafür, daß man um Tüchtigkeit und Ruhm kämpfen muß. Denn weil sie mit Begabung, Bildung und gesitteter Lebensweise, da ihre Natur dein entgegenstand, mit den übrigen Menschen nicht in Wettstreit treten konnten, und damit es nicht hieß, sie hätten ihr Leben in Untätigkeit verbracht, haben sie immerhin durch zügellose Barbarei und ungestüme Wesensart, die sie für Tüchtigkeit halten, offenbar für ihren Ruhrn und ihre Unsterblichkeit gesorgt. (3) Wenn ich aber meine Rede auf die Geschichte anderer Völker und auf das, was sie im Frieden und im Krieg vollbracht haben, lenkte, dann täte sich mir bei der Darstellung ein unendlich weites Feld auf, und dieser Tag heute reichte dafür nicht ans. Aber ich übergehe absichtlich, was ihr durch die Lektüre bekannter Autoren leicht an dieser Stelle hinzufügen könnt.

4 Ich glaube, es ist jetzt genug und mehr als genug, deutsche Männer und ruhmvollste Jünglinge, wenn ich heute euren Herzen durch meine Rede, mag sie sein wie sie will, einen Ansporn zu Ruhm und Tüchtigkeit eingebe und einbleue und sozusagen einbrenne, damit ihr vor allem die Unsterblichkeit vor Augen habt. (2) Da ihr diese jedoch allein aus der Quelle der Philosophie und durch das Studium der Beredsamkeit gewinnen könnt, kann ich wohl nicht leicht sagen, mit wieviel Mühen und in wieviel durchwachten Nächten man bei diesen beiden Gebieten verweilen oder auch sich abrackern muß, nämlich bei den Schriften der alten Philosophen, Dichter und Redner, da es diese allein sind, die uns die Art und Weise eines guten und glücklichen Lebens aufgeschrieben und die Geschichte des Menschengeschlechts und den Lauf aller Dinge, nämlich die Mutter Natur, gleichsam als Vorbild und als einen Spiegel für das Leben zur Nachahmung vor Augen gestellt haben. (3) Von ihnen werdet ihr lernen, gute Taten zu loben und schlechte zu verdammen, von ihnen (werdet ihr lernen) zu trösten, zu mahnen, anzutreiben, fernzuhalten und ihr werdet euch bemühen, was der Gipfel menschlichen Glücks ist, den Urheber aller Dinge und die Natur selbst zu betrachten. (4) Wenn das alles auch andere leisten können, so liegt doch unwillkürlich das Mitleid wie auch jede andere Erregung und Besänftigung des Menschen in der Hand des Redners und des Dichters. (5) Vollends jene schmückenden Wörter und Sinnsprüche, die wie Sterne die Rede erstrahlen lassen, sind die Werkzeuge, die gerade Rednern und Dichtern zu eigen sind. (6) Die müßt ihr von jjenen entleihen und, je nachdem wie es die Sache fordert, in euren Sprachgebrauch und eure täglichen Reden übernehmen. (7) Denn was nützt es, bei den unsterblichen Göttern, viel zu wissen, Schönes und Erhabenes zu verstehen, wenn es einem versagt ist, darüber mit Würde, Eleganz und Nachdruck zu sprechen, und wenn wir, was allein die Krone menschlichen Glückes ist, unsere Gedanken der Nachwelt nicht weitergeben können? (8) So ist es, bei meiner Treu: Nichts erweist einen Mann als gelehrt und gebildet außer Feder und Zunge; beide aber lenkt die Beredsamkeit.

5 Aber an euch richte ich jetzt meine Rede, edle Männer und wohlgeborene Jünglinge, auf die durch die Leistung der Vorväter und die berühmte unbesiegbare deutsche Kraft die Herrschaft Italiens übergegangen ist, und die ihr diese Universität vor allen anderen Studienorten unseres deutschen Landes besucht, sie bereichert und ihr zu großem Schmuck und Zierde gereicht. (2) Ich ermahne euch, wendet euch zuerst den Studien zu, die euch zivilisierter und gebildeter machen und von der Lebensart des Pöbels abbringen können. (3) Wenn ihr euch aber höheren Studien widmet, dann haltet euch den wahren Adel des Geistes vor Augen und seid überzeugt, daß ihr unserem Reich nicht Auszeichnung, sondern Schande zufügt, wenn ihr mir Pferde und Hunde aufzieht und nur kirchlichen Pfründen, nicht aber wissenschaftlichen Studien nachjagt. (4) Seid darauf bedacht, euren Ämtern Glanz zu verschaffen, den ihr durch Tüchtigkeit, Gelehrsamkeit und Bildung gewinnen müßt, und nur makellosen Charakteren Ehrentitel beizulegen, damit die Menschen euch dieser für würdig halten und somit die Ämter euch nachjagen, nicht ihr ihnen wie Vogelfänger einem Schwarm Vögel. (5) Eifert, ihr edlen Männer, dem alten römischen Adel nach, der die Herrschaft über die Griechen gewann und dann all deren Weisheit und Beredsamkeit so erwarb, daß man zweifeln kann, ob er allem Anschein nach alle griechische Erfindung und den Schatz ihrer Gelehrsamkeit nur erreicht oder sogar überboten hat. (6) So müßt auch ihr, nachdem ihr die Herrschaft Italiens gewonnen habt, die häßliche Barbarei ablegen und euch um die Künste und Wissenschaften der Römer bemühen. (7) Schafft aus der Welt den schlechten Ruf, den die Germanen seit alters bei griechischen, lateinischen und hebräischen Autoren hatten, wo jene uns Trunksucht, wildes Wesen, Grausamkeit und alles, was sonst noch am ehesten Eigenschaft eines Tieres oder Wahnsinnigen ist, zuschreiben. (8) Ihr müßt euch sehr schämen, die Geschichtswerke der Griechen und Römer nicht zu kennen, noch mehr aber solltet ihr euch schämen, unseres Gebietes und Landes Lage, Gestirne, Flüsse, Berge, Altertümer und Völkerschaften nicht zu kennen sowie schließlich auch das, was fremde Mensehen über uns so kundig zusammengetragen haben, daß es für mich ein großes Wunder ist, wie Griechen und Römer mit so vollkommener Sorgfalt und erlesener Gelehrsamkeit unser Land, einen sehr großen Teil Europas, um ihren Ausdruck zu gebrauchen, durchforscht haben, der doch im Vergleich zu jener Veränderung des Klimas, wie ich glaube, rauh und roh war, und wie sie unsere Sitten, Leidenschaften und Gesinnungen mit Worten gleichsam wie mit Gemälden und anschaulichen Zeichnungen ausgedrückt haben. (9) Laßt endlich ab, edle Männer, von diesem räuberischen Unwesen und beseitigt es, denn von ihm sagen diese Autoren, daß es bei uns geradezu als Tugend gelte. (10) Und es ist schon verwunderlich, daß bis heute in bestimmten Teilen Deutschlands seit über 1500 Jahren diese angeborene Krankheit fortdauert, da wir die Anführer des räuberischen Haufens nicht beseitigen können, obwohl das Klima schon freundlicher und unser Land nach Trockenlegung der Sümpfe und Rodung unermeßlicher Wälder auch mit berühmten Städten besiedelt ist. (11) So schwierig ist es, zu verbessern, was zur Gewohnheit geworden ist, und auf lange Zeit kann sich ausbreiten, was die Billigung vieler findet. (12) So geschah es, daß die angrenzenden Völker auf uns herumdreschen, indem sie behaupten, wir hätten mit der Übernahme des Reiches zugleich viele Laster fremder Völker angenommen, und daß sie alles, was deutsch heißt, mit geradezu ewigem Neid und Verleumdung verfolgen, und unsere Begabungen sind für sie immer verdächtig und furchterregend. (13) Mit Scham erfüllen soll euch, edle Männer, die Tatsache, daß zur Beschimpfung und bitteren Verhöhnung des deutschen Namens in neueren Geschichtswerken manche Leute, die sich rühmen, durch die Veröffentlichung neuer Dekaden die gleiche Größe wie das alte römische Reich gewonnen zu haben, die Geburtsnamen unserer berühmtesten Fürsten unterdrücken und sie nur Barbaren nennen. (14) Soviel vermochte der alte und unversöhnliche Haß unter uns und die eingewurzelte Zwietracht der Majestäten; wenn diese Zwietracht nicht eine vorausschauende Natur durch die Alpen und durch Felswände, die zu den Sternen ragen, getrennt hätte, wäre sie niemals vor gegenseitigem Töten, entsprechend der feindlichen Erbitterung auf beiden Seiten, zurückgeschreckt. (15) Mit Scham erfüllen soll euch, so bitte ich, der Umstand, daß durch uns zwar viele denkwürdige Kriege geführt oder erfolgreich zu Ende gebracht wurden, nämlich in Pannonien Gallien, Italien und gegen den ungeheuerlichsten Tyrannen Asiens, der vom Blute der Christen trieft, daß man aber niemanden unter euch heute findet, der die durch deutsche Tüchtigkeit vollbrachten Taten unsterblich macht, daß es aber sehr viele Ausländer geben wird, die in ihren Geschichtswerken, entgegen jedem Gesetz der Geschichtsschreibung, wie Ottern unsere Tüchtigkeit angiften, indem sie mit prunkhaftem Periodenbau und der Verführung ihrer Rede, um nicht zu sagen mit Erdichtungen und lügenhafter Erfindung - darin ist dieser Menschenschlag zu seinem eigenen Lobe überaus verschwenderisch - unsere ruhmvollen Taten herabsetzen. (16) Ferner weiß ich nicht, ob man es unserer Klugheit oder unserer Unbedachtheit anrechnen muß, daß wir vor kurzem den Lorbeer, Auszeichnung der Schriftsteller und Begleiter der Kaiser, wie ein schlechtes Vorzeichen für unser Reich freiwillig dem Tarpeischen Felsen überlassen haben. (17) Anderen wurde das Recht gewährt, den Lorbeer zu verleihen, sodaß schließlich bei uns kein Würdezeichen der Herrschaft mehr bleibt.

6 Nehmt die alte Gesinnung wieder an, deutsche Männer, mit der ihr so oft Schrecken und Furcht über die Römer gebracht habt, und richtet eure Blicke nach den vier Ecken Germaniens und bedenkt seine ganz und gar zerrissenen Grenzen. (2) Schande über Schande, daß wir unserem Volk das Joch der Sklaverei auferlegt haben und daß wir ausländischen und barbarischen Königen Steuern und Abgaben zahlen! (3) O du freies und starkes Volk, o du edler und tapferer Stamm und des römischen Imperiums durchaus würdig, deinen berühmten Seehafen und den Zugang zu unserem Ozean haben der Pole und der Däne in Besitz! (4) Im Osten aber stehen mächtige und bedeutende Stämme, Markomannen, Quaden, Bastarner und Peukiner, unter fremder Herrschaft und leben gleichsam vom Körper unseres deutschen Landes getrennt. (5) Die jazygischen Metanasten zähle ich gar nicht dazu, die ebenfalls eine stammverwandte Kultur besitzen und unsere heimische Sprache sprechen. (6) Im Westen ist aber nur uns Frankreich freundlich gesonnen und leistet Zahlungen aufgrund der unsterblichen Tüchtigkeit und unglaublichen Weisheit des Pfalzgrafen Philipp bei Rhein, der beide Ufer des berühmten Flusses beherrscht und immer unter seiner glücklichen Regierung beherrschen wird,

"solange der Himmel die Sterne dreht, solange Winde die Gestade peitschen".

(7) Im Süden aber werden wir durch eine besondere Art der Sklaverei bedrückt, und es werden aufgrund einer alten verdammungswürdigen Habsucht, die nur dazu dient, der Verschwendung frische Nahrung zuzuführen, immer neue Siedlungen angelegt, durch die mit erstaunlichem Talent unser Land arm gemacht wird, da wir für andere das verausgaben, was wir selbst brauchen. (8) So hartnäckig ist das Schicksal oder Geschick, wenn es gilt, die Deutschen, den letzten Rest des römischen Imperiums, zu verfolgen und zu vernichten. (9) Aber ich fürchte, daß ich mich offener vorgewagt habe, als ich wollte, da ich Abscheu vor meinem Deutschland empfand, weil angesichts der Macht unserer Kaiser ich an den wertvollen Bücherschatz denken muß, der von Griechen und Italienern nicht räuberisch hinweggegeführt werden darf und zu bewahren ist. (10) Diese Schätze lassen wir, wie in einem Kerker eingeschlossen, mit Staub bedeckt und unberührt und dabei nicht hinreichend vor Regen sicher, immer noch wie eine Beute für Feinde, verachtet liegen.

7 Ich komme wieder auf euch zu sprechen, edle Jünglinge, und ermahne euch vor allem: Macht euch bewußt, bevor ihr euch der Rechtswissenschaft zuwendet, daß ihr viele Dinge kennen müßt, weil diese Wissenschaft euch über reine Vermutungen hinaus nichts lehren kann. (2) Wenn Philosophen und Dichter, die ersten Theologen - wenn man den Alten glauben darf -, die Wildheit der unsteten und umherschweifenden Menschen durch Beredsamkeit gezähmt und sie aus Schlafstätten, wie das Vieh sie benützt, und aus Höhlen zu einem Leben in Städten und unter gemeinsame Dächer gebracht haben, sie religiöse Bindung Gottesfurcht und Gottesdienst mit Hilfe vieler verschiedener Beweise lehrten und sodann mit Gesetzen und Institutionen regierten: wer von euch, erhabenste Väter, wird dann zweifeln, daß man sich vor dem Rechtsstudium zuerst um die wahre Philosophie sehr bemühen muß und besonders um die Dinge, durch welche man die Beredsamkeit erwirbt, die nach eurem Eingeständnis für die Jurisprudenz unumgänglich notwendig ist? (3) Daher werdet ihr bald sehen, daß diejenigen an keinem geringen Irrtum leiden und die Keime vieler Übel einschleppen, die wider jede Philosophie - ich meine nicht jene lächerliche - als oberste Richter und Priester auftreten, ohne zu bedenken, von welcher Art die Gesetzgeber früherer Jahrhunderte waren, die am Tage als Richter und Krieger vollauf beschäftigt waren, alle Nächte aber auf das Studium der Philosophie verwandten. (4) Wenn freilich die Philosophie wie eine Pflanzschule die Kenntnis der menschlichen und göttlichen Dinge und die jeweils damit verbundene Beschäftigung in reichem Maße lehrt, wer darf dann glauben, er könne jene beiden Gebiete beherrschen, ohne die Philosophie in sich aufgenommen zu haben? (5) Ich muß euch nicht zum Beweis die Griechen Solon, Platon, Alkibiades, Themistokles oder Philipp, den Vater Alexanders des Großen, anführen. (6) Welche Sorgfalt zeigt sich darin, daß dieser dem Aristoteles, dem größten Philosophen seiner Zeit, seinen Sohn anvertraute und welche Freude äußerte er darüber, daß ihm in dem Jahrhundert ein Sohn geboren sei, in dem die Philosophen die größten Leistungen vollbrachten! (7) Dieser in Kriegsführung und Staatslenkung wohlerfahrene Herrscher wußte nämlich, daß sein Sohn, wenn er in die Vorschriften und Lehren der Philosophie eingeweiht sei, es verdiente, die Herrschaft über den ganzen Erdkreis auszuüben. 8) Ich muß euch auch nicht den Anacharsis in Erinnerung rufen, der, um seinem Skythenland Gesetze zu geben, vorher die Philosophie von den attischen Philosophen lernen wollte. (9) Ich erwähne nicht die römischen Könige, Numa, die Catonen, Scipionen, Caesaren und die jüngeren, die Antonianer, Valerianer, Aurelianer, schließlich Theodosius und Karl, die Abkömmlinge des edlen Stammes der Franken, durch deren Bildung und Sorge um die Wissenschaften das herrliche Reich geschaffen und erhalten wurde, das so lange blühte, wie es die Philosophie als Begleiterin und Helferin besaß. (10) Ich übergehe jetzt Moses, den Gesetzgeber unserer alten Religion, der in jeder Art von Philosophie überaus beschlagen und ein sehr kluger Führer war, sodaß er das Volk anzutreiben, zurechtzuweisen und einzuschüchtern vermochte; er hat, als er im Begriffe war, die heiligen Gesetze niederzuschreiben, mit der Erschaffung der Welt begonnen und sprach zuerst von der Herrlichkeit der Natur und seines Schöpfers, um deutlich zu zeigen, daß jeder Gesetzgeber und jeder Studierende dieser Wissenschaft zuerst in die Lehren der Philosophie gleichsam wie in heilige Kulte eingeweiht werden muß. (11) Uns aber beeindrucken derart bedeutende Männer nicht, weil eben jetzt bei uns in enger Umgrenzung durch eine Reihe zufallsbedingter Schicksalsschläge und in der Trübnis der Endzeit das Reich altert und wir jede Philosophie hintanstellen, unsere Begabungen sklavisch nur für unedlen Erwerb feilbieten und um Söldnerlohn verdingen.

8 Wenn wir daraufhin nach derartigen Studien, wie wir sie betreiben, zu den Fürsten kommen, dann können wir ihnen nur das beibringen, was wir gelernt haben. (2) Und das sind die Ursachen, ich sage es mit großer Bitternis, weshalb unsere Fürsten mit fremden Augen sehen und immer ungebildet bleiben und den anderen zum Spotte dienen und zurecht als Barbaren verlacht werden, da sie trotz so glücklicher Zeitläufte die edlen Wissenschaften und alle, die sich um sie bemühen, nicht beachten und es an ihren Höfen nichts Wertloseres und geringer Geschätztes gibt als diejenigen, die dem Namen oder Auftreten nach ihre Kenntnis der Wissenschaften bekennen; so sehr gefällt uns unser Barbarentum und die unheilbare Krankheit unseres Gemütszustandes. (3) Bei unseren Bischöfen nämlich oder, um das alte Wort zu gebrauchen, bei den heiligen Flamines, denen die Sorge um die Wissenschaften und der Schutz für sie mit Recht angelegen sein sollte, sind die Wissenschaften so verachtet und diejenigen, die sich ihnen widmen, so geringgeschätzt, daß sie das Wild im Walde, Hunde mit langen Ohren, schnaubende und wilde Pferde und irgendwelche weibstollen Vergnügungen eines Mars zusammen mit Rhea, eines Clodius und eines Sardanapal und andere Kurzweil ihnen vorziehen. (4) Wir kennen bestimmte Leute von obskurer Herkunft, die sich, wenn sie vernehmen, daß fahrende Scholaren auf der Wanderschaft an ihren Hof gekommen sind, unter prahlerischem Hinweis auf ihre eigene Weisheit ihnen zu sprechen verweigern; so sehr gefällt ihnen fortwährend ein pythagoreisches Schweigen und in ihrer barbarischen Erhabenheit ein sparsamer Umgang mit der römischen Sprache, damit nicht der Eindruck entstehe, sie könnten ihre Würde verlieren, während sie wie räuberische Habichte das Maul aufreißen, entweder aus Geldgier oder mit Schmeicheleien gegenüber den Königen, was sie sogar Heldentaten vorzuziehen wagen, dienstbeflissen wie verächtliches Gesinde. (5) So hat uns Italiens Luxus verdorben und eine unbeherrschte Grausamkeit, wenn es darum geht, das verderbenbringende Geld herauszupressen, daß es weit unschuldiger und glückseliger gewesen wäre, das alte rauhe Leben im Walde zu führen, wo wir noch in maßvoller Beschränkung lebten, als so viele Mittel zu Völlerei und Verschwendung, von denen man nieinals genug haben kann, einzuführen und fremde Sitten anzunehmen. (6) Daher kommt es, daß solche Leute jetzt nur noch mit denen verkehren, die verwandten Bestrebungen beipflichten, und jene ausschließen, denen die Bemühung um Gelehrsamkeit und Weisheit am Herzen liegt. (7) Gerade ihnen aber haben die
Beherrscher des griechischen und römischen Reiches solchen Glanz verliehen, daß sie sie mit herrscherlichen Ehren auszeichneten und zum vertrauteren Freundeskreis zählten. (8) Wenn sie gestorben waren, ließen die Herrscher sie sogar in ihren eigenen Grabstätten beisetzen, weil sie glaubten, ihre Macht und ihre Unsterblichkeit habe durch sie Bestand, und zwar mit Hilfe und durch den Nutzen schriftlicher Aufzeichnungen, auf die allein sich ewiger Ruhm gründet, sodaß sie nicht nur im Leben, sondern auch nach dem Tode den Menschen nützen konnten. (9) Sie leben also bis heute und werden leben, solange es römische und griechische Literatur geben wird. (10) Ich werde auch keinen anderen Grund für die andauernde Blüte Italiens anführen als den, daß seine Bewohner
uns allein durch den glücklichen Umstand ihrer Liebe zu den Wissenschaften und im Bemühen um diese übertreffen. (11) Damit schrecken sie andere Völker wie mit Waffen ab und ziehen mit Begabung und Fleiß die Bewunderung auf sich. (12) Bei uns aber gibt es häufige Veränderungen, und ein verwerfliches Verlangen nach Umsturz der bestehenden Verhältnisse herrscht unter uns, sodaß ein hochgelehrter Dichter über uns sagen kann:

Brüder, mit Naturanlage und rascher Leidenschaft begabt,
                 stets auf Umsturz bedacht, erfüllt mit rasendem Haß auf den Frieden.

(13) Und so fechten wir, damit sich unsere Pferde nicht die Gicht und unsere Waffen Rost zuziehen, mit Getöse untereinander Bürgerkriege aus wie Sulla und Marius oder Caesar und Pompeius. (14) Ich kann mich nicht beherrschen, wenn ich sehe, wie wir an unseren eigenen Fehlern und inneren Parteiungen leiden, und die herrlichsten Reiche, auf die wir nur Rechtsansprüche gleichwie zum Trost vorzeigen, vernachlässigen, während wir die Degen ziehen und bis zum fünften Vollmond uns in unseren Versammlungen beraten, wie ein Geschichtsschreiber über uns schrieb, von Natur aus ohne Güter und mit einer Hoffnung, die nur wenig erwarten darf, und während wir inmitten unseres deutschen Landes die überaus mächtige Herrschaft einer hartnäckigen Religion, die mit fremder Zunge spricht, ertragen müssen. (15) Dennoch muß man den Göttern danken, daß ein Mann aus Italien sich diesen Leuten als Führer zur Verfügung gestellt hat, dessen Universität ihr früheres, jetzt aber zerstörtes Glück beweint und bejammert, da sie niemanden hatte, der die wahre Philosophie pflegte, und mit ihrem Schicksal einen großen Beweis dafür lieferte, daß die Grundlagen der Religion von niemandem besser als von einem wahren Philosophen gelegt und erhalten werden können, wenn nicht einer etwa denjenigen den Vorzug geben will, die Unwissenheit für höchste Weisheit halten und die, um sich vor dem Volke groß zu tun, sich nur äußerlich (den Gelehrten) anpassen und lediglich ein Mäntelchen von Gelehrsamkeit und Tugend tragen, ganz ähnlich den Puppen, die die Gärtner aufstellen, um die Vöglein von den Saaten und Frühbeeten abzuschrecken; wenn man näher an sie herantritt, bemerkt man an ihnen weder Regung noch Empfindung.

9 Daher komme ich jetzt auf euch zurück, deutsche Jünglinge: Sorgt dafür, daß ihr nicht lange im Kindesalter verharrt, lernt die Geheimnisse der Wissenschaften kennen; sprechen doch die Schriftsteller davon, daß ihr sie meidet, und sie dichten zu unserer Schande:

               Kein kastalisches Naß und des Schicksals kundiges Wasser
wird der Barbar mit schmutzigem Munde trinken.

(2) Eine Schande ist es, daß man solches über euch, die Herren des römischen Reiches, lesen muß und daß dieser Zustand bis zum heutigen Tage fortdauert, es sei denn, einer wollte mir mit dem Hinweis auf die große Zahl der Universitäten begegnen, derer vierzehn sich bei uns finden, und behauptete, daß deswegen die Barbarei beseitigt und für gute Gesittung sowie ehrenvolle Künste gesorgt und der Weg dahin frei sei, da uns das Volk schmeichelt, wenn wir mit unseren Magister- und Doktortiteln prahlen, wo man doch unter uns - ich sage es mit Tränen - wenige finden wird, die sich um ein echtes Erkennen der Welt, ein Erforschen der Natur und um die Reinheit der römischen Sprache bemühen oder sie gar besitzen, während bei solchen Studien, wie wir sie treiben, um nicht zu sagen, bei solchen Spielereien, diejenigen sich nicht entfalten können, welche die Dichter und Schriftsteller römischer Sprache ausdeuten, und diejenigen gleichsam als ehrlos gelten, die das Schöpfungswerk der Natur und die Weisheit ihres Lenkers mit mathematischem Wahrheitsanspruch erschließen und die etwas höher als das einfache Volk denken. (3) So sehr ist die Philosophie von gewissen Leuten zerrieben und zerkocht worden, die die herrliche Erhabenheit der Natur zu unkörperlichen Begriffen und ungeheuerlichen Abstraktionen und sozusagen zu leeren Chimären verunstaltet haben, als wären sie Dichter, die mit ihren Gestalten und geeigneten Geschichten die Naturerscheinungen so verändert darstellten, daß die Kenntnis heiliger Dinge dein einfachen Volk verborgen blieb, in der Überzeugung, nachteilig sei der Natur ihre offene und ungeschminkte Darstellung und deshalb müsse man von ihr in schicklicher Bedeckung und gleichsam mystischer Verhüllung sprechen, weil das Ungestüm des einfachen Volkes, wenn es wie die Philosophen bestimmte Geheimnisse verstehen würde, nur schwer in Schranken gehalten ,werden könnte. (4) Ich werde aber jetzt nicht die Geschichten griechischer er und lateinischer Dichter philosophisch deuten, welche die Quellen aller göttlichen Erfindungen unter dem poetischen Schleier einer Fiktion denen, die von der Wahrheit wissen, erschlossen haben. (5) Aber solche Leute beschuldigen wir der Lügen und verwünschen sie wie Betrüger und nichtsnutzige Menschen. (6) So sehr gefällt uns unsere Nichtsnutzigkeit und häßliche Barbarei, weil uns, wie ich glaube, die Götter zürnen, daß wir nicht zugleich mit der Herrschaft Roms auch den Glanz gelehrter Bildung Italiens annehmen und in dieser herrlichen Art schriftstellerischer Betätigung mit denen, die wir doch bewundern, wetteifern. (7) Gleichwohl findet man auch bei uns Männer, die an meinem Fehler leiden, da sie sich den Namen eines Dichters und Redners anmaßen, aber ohne alle Unterweisung in Philosophie und Eloquenz es mit jeder Faser ihres Verstandes auf eine Art von eitler Geschwätzigkeit abgesehen haben und darauf, die Herzen junger Menschen mit irgendwelchen unverständlichen Phantastereien zu nähren, Künstler der sanften Rede, die das, was ihnen gerade ins Maul kommt, in einem Wortschwall unverschämt ausspucken und reine Ohren mit dreckigen und schamlosen Geschichten trunken machen, als müßten wir die Laster, die doch ohne Zwang immer allzu üppig wie Unkraut hervorsprießen, noch durch Belehrungen ans Licht bringen. (8) Wenn jemand im Hinblick auf eine solche Bildung die unsere genauer betrachten wollte, dann würde er "Sand ohne Kalk" und eine Sprache ohne Blut finden, da wir zwar bereit sind, andere mit solchen Ausdrücken, wie Schulbuben sie gebrauchen, zurechtzuweisen, dabei aber unseren eigenen Gestank nicht riechen, und ich glaube, es ist von den unsterblichen Göttern für uns gut eingerichtet, daß sie uns eine geradezu primitive und gewöhnliche Bildung zugestanden haben. (9) Andernfalls würden wir mit unserem Gequake und dem Unrat unserer Worte anderen und dazu noch Gelehrteren als uns nicht einmal aufzumucken erlauben. (10) Manchen bereitet es Freude, derartige Leute zu hören, nicht solche, die dem Geist die Nahrung einer wahrhaften Lehre bieten, indem wir die mit unserem Haß verfolgen, die gegen die Einrichtungen unserer veralteten Lehre andonnern und anbellen und bestimmte Neuerungen aus der wahren römischen Bildung vorbringen, wenn sie die in die Jahre gekommenen Grammatikfuchser auf die Grundlagen der griechischen Sprache verweisen, sodaß sie wieder in der Wiege der Grammatik zusammen mit neugeborenen Kindern wimmern müssen. (11) Als ob wir nicht das Beispiel des Cato vor Augen hätten, eines bedeutenden und ebenso in jeder Art von Bildung und Wissenschaft hochgelehrten Mannes, der, um richtig Latein sprechen zu können, noch als Achtzigjähriger Griechisch zu treiben begann, vernachlässigen wir als Knaben wie als Greise beide Sprachen, und um unsere Trägheit und Untätigkeit zu verteidigen, schreiben wir es lieber göttlichem Einfluß und einem Wunder zu, daß der heilige Hieronymus und Augustinus so viele Sprachen kennen und so viele Bücher geschrieben haben, die wir in unserem ganzen Leben nicht einmal flüchtig lesen können, als der Tatsache, daß sie das in durchwachten Nächten mit schwerster Arbeit und durch Aufenthalte in der Fremde gelernt hätten. (12) Nur so aber werden Gelehrsamkeit, Heiligkeit und Ewigkeit eines Namens bei der ganzen Nachwelt verbreitet, aber nicht durch Schlaf und Völlerei, Prasserei, Würfelspiel und Hurerei; darauf sind wir in unserer Torheit ganz begierig und darin schwelgen wir unser ganzes Leben lang, als ob wir allein zu diesem Zweck geboren wären. (13) Soweit wir aber in der Wissenschaft gebildet erscheinen wollen, halten wir uns bei kindischen Streitigkeiten über Termini und Quiditäten auf, über denen wir bis zum Tod, wie von den Klippen der Sirenen angelockt, dahinsiechen, und wir wollen auch nicht, daß andere etwas anderes kennen als mit unserem Mist beschmutzt zu werden. (14) Wenn wir dann zu Führern und Häuptern unserer herrlichen Religion gewählt werden, sind wir mit Eifer nur auf die Habsucht bedacht und brennen mit all unseren Kräften in einem geradezu unlöschbaren Durst darauf, bis wir das Geld, wie Kadaver von Toten, mit uns zusammen in der Erde bergen. (15) Das hat uns unsere gewöhnliche Philosophie gelehrt und die wertlose Saat leerer Worte, um deren willen wir die tadellosesten und wortgewaltigsten Autoren unserer Religion vernachlässigen, wobei wir nichts Prächtiges, Hohes und Ausgezeichnetes erreichen können, da wir uns nur um allzu nichtssagende Dinge kümmern, als könne man nicht bei Platon und Pythagoras und anderen hervorragenden Philosophen bestimmte Grundlagen unserer Religion finden, durch die man die wunderbare Verbindung von natürlicher Erleuchtung und Gnade verstehen kann. Aber davon ein andermal.

10 Wendet euch daher, ihr Deutschen, doch endlich zivilisierteren Studien zu, die euch allein die Philosophie und die Beredsamkeit lehren können.(2) Bedenkt, daß es nicht ohne Grund geschehen ist, daß die Beherrscher des griechischen und römischen Reiches sich mit so großer Mühe und Sorgfalt um diese Dinge bemüht und die Lehrer dieser Kenntnisse mit höchsten Ehren ansgezeichnet haben, wenn sie nicht erkannt hätten, daß durch die Kräfte der Sprache und das Wirken der Weisheit menschliche Gesellschaften, Städte, Religionen, Götterkult, reinste Sitten und größte Reiche erhalten und gelenkt werden können. (3) Diese Tatsache hat jener göttliche Dichter, Zierde und Freude der römischen Beredsamkeit, so hervorragend ausgedrückt, als er dichtete:

                        Wie es denn oft, geschieht: im Volksgewühle erhebt sich
                        Aufruhr, wütend rast im Zorn der niedere Pöbel;
                        Fackeln fliegen und Steine; die Wut schafft Waffen: doch wenn sie
                        dann einen Mann, gewichtig durch frommen Sinn und Verdienste,
                        zufällig sehen, dann schweigen und stehn sie und recken die Ohren.
                        Er aber lenkt die Erregten durchs Wort, stimmt friedlich die Herzen.

(4) In der Tat ist im Zusammenhang mit der Staatslenkung der Griechen und Römer der Umstand bedeutend und beinahe göttlich, daß sie Weisheit mit Beredsamkeit zu verbinden suchten und zu deren Erfassung öffentliche Aufführungen veranstalteten, wo sie durch hohe Überredungskunst und ausgefallene Ideen die Herzen der Zuschauer zu Tüchtigkeit, Frömmigkeit, Bescheidenheit, Tapferkeit und Fähigkeit, alles zu ertragen, ermahnten, und durch die sie die heranwachsenden Naturanlagen von Fehlern abschreckten und zum Ruhme entflammten, damit sie das, was sie Vaterland, Freunden, Gästen und ihren lieben Eltern schuldeten, wie von belebten Bildern empfingen. (5) Daher ist jene allegorische Erfindung der Dichter nicht zu verachten, in der Orpheus wilde Tiere, Amphion Steine, der eine besänftigt, der andere bewegt und geführt haben soll, wohin er wollte; so konnte man durch ein Gleichnis zeigen, was die Macht der Beredsamkeit oder auch die dichterische Aufgabe sei, da sie rauhe, unbändige und unfügsame Herzen zu Milde, rechtem Sinn und geduldigem Ertragen bewegen können. (6) Weil das so ist, bildeten einst mit gutem Grund die griechischen und jetzt die italischen Städte gleich von Anfang an ihre Kinder durch die Lieder der Dichter. (7) Dadurch daß die Kinder mit diesen Gedichten musikalische Töne und die süßesten harmonischen Melodien, nach denen jenes Alter besonders verlangt, in sich aufnehmen, geben sie ihrem zarten Gemüt, das zur Untätigkeit und Trägheit neigt, einen Anreiz zum Fleiß, sodaß sie sieh mit fröhlichem Eifer und regem Sinn zum Lernen begeistern lassen und beim Studium verweilen. (8) Dadurch wird es geschehen, daß jene gewichtigen Wörter und Sätze, die von den zarten Gemütern aufgenommen wurden, bis zum reiferen Alter, ja bis zum Tode immerzu lebendig bleiben und das ganze Leben hindurch immer wieder hervorbrechen. (9) Dieser Unterweisung stimmt wohl Aristoteles voll zu, wenn er vorschreibt, junge Menschen mit Gedichten und Liedern zu erziehen, weil diese, nämlich die Harmonie, die Begabungen der Kinder weckt und (die Lieder) zu einer scharfen geistigen Fähigkeit, Reden und Gedichte zu verfassen, antreiben. (10) Schließlich ist diese Kunst zur Erholung und zu Trost und Erbauung der Gemüter geeignet, indem sie in Hymnen auf Götter sowohl deren Lob erschallen läßt als auch zu göttlichen Gedanken mitreißt. (11) Daher ist von Pythagoras und Platon, den größten Philosophen, die Dichtkunst die erste Form von Philosophie und Theologie genannt worden, da sie für ihre Darstellungen Lieder verwendet und in rhythmischer Rede fortschreitet. (12) Die andere Kunst aber, nämlich die Redekunst, bewegt sich nach Belieben auf dem Boden mit ungebundenem und freiem Wort. (13) Jene dagegen ist durch das Versmaß stärker gebunden und hat eine etwas größere Freiheit in der Wortwahl, ist aber in vielen Schmuckformen (der Rede) ähnlich oder beinahe gleich. (14) Keine von beiden dürfen wir vernachlässigen, sondern wir müssen von Anfang an, deutsche Männer, die Herzen der Kinder in der Dichtung unterweisen und sozusagen ködern. (15) Da in ihr ein hohes bewunderndes Interesse an den Dinge enthalten ist, sowie Schönheit und Schmuck der Worte, erstarken die Herzen der Heranwachsenden leicht durch sie; in einem kräftigeren Alter aber, wenn der jugendliche Sinn schon über jene Anfänge hinaus sich gefestigt hat, können sie, da sie mit einem lebhafteren Denken besser ausgestattet und vorbereitet sind, zur Lektüre der bedeutendsten Philosophen und Redner gelangen. (16) Von da aus können sie sich dann schließlich zu eigenen Schöpfungen sowie zur Höhe der Dichtkunst und ihrer Darstellungsformen erheben, um den Ruhm berühmter Schriftsteller durch die Abfassung von Geschichtswerken und Gedichten zu erlangen, und um sich daraufhin Unsterblichkeit und dem Vaterland Ruhm und Ehre zu verschaffen. Damit schließe ich.

Gehalten im Jahre 6691 nach der ersten Vereinigung der Elemente am 31. August.