Simon Lemnius: Bucolica -- Fünf Eklogen. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von L. Mundt. Tübingen (Niemeyer) 1996. Frühe Neuzeit: 29. VIII, 224 S.

 

Der Humanist, Luthergegner und Dichter Simon Lemnius wurde in den letzten Jahren wiederentdeckt, zwar nicht in dem Sinne, daß er für die Humanismusforschung verschollen gewesen wäre (immerhin hatte schon Lessing eine Ehrenrettung versucht: Briefe 1753, Nr. 1-8), aber ihn einem größeren Leserkreis wieder bekannt gemacht zu haben ist das Verdienst von Lothar Mundt (im folgenden: M.), der Lemnius in mehreren Beiträgen in die literatur- und bildungsgeschichtliche Diskussion erneut eingeführt hat.1 Mit der anzuzeigenden Publikation legt er erstmals die fünf Eklogen des Lemnius in einer wissenschaftlichen Edition vor. Dagegen erschien das unvollendete Hauptwerk des Graubündners Lemnius, sein Epos De bello Raetico in neun Büchern, erstmals 1874 im Druck, harrt aber noch der kritischen Ausgabe.

 Einleitend gibt M. zunächst einen biographischen Überblick, in dem er das Verhältnis des Lemnius zu Luther kurz skizziert und dann sein von mancherlei Widrigkeiten geprägtes Dasein als Schulmeister in Chur (mit Unterbrechungen) darstellt. Der wahrscheinlich 1511 im Val Müstair geborene Lemnius starb bereits 1550 an der Pest. Seine literarische Hinterlassenschaft ist nicht unbedeutend. So hat er sich noch in seiner Wittenberger Zeit polemisch mit Luther und der Universität angelegt, in einer Elegia in commendationem Homeri de bello Troiano eine Inhaltsangabe der Ilias gegeben, diese selbst ins Lateinische übersetzte (gedruckt 1549 bei Johannes Oporinus in Basel), ebenso wie die in Venedig 1543 gedruckte Erdbeschreibung des Dionysios Periegetes. Die Eklogen sind seit 1547 entstanden. An die Besprechung der Chronologie schließt M. einen Überblick über die neulateinische Eklogendichtung an (9-54). Seine Ausführungen zur Forschungssituation zeigen wiederum deutlich, wie vernachlässigt von der literaturwissenschaftlichen Diskussion insbesondere in Deutschland eine Gattung ist, in der sich in Europa immerhin etwa 250 Autoren des 14. bis 18. Jahrhunderts geäußert haben (9). Dabei liegt reiches Material in der 1546 von Oporinus in Basel gedruckten Anthologie humanistischer Eklogendichtung vor, die M. 13-15 vorstellt. Die lateinische Eklogendichtuing in Deutschland beginnt mit Heinrich Bebel (ca. 1472-1518), der 1495 eine Ecloga contra vituperatores poetarum verfaßte, in der er das neue humanistische Bildungsideal verteidigte (17-19). Ihr folgte 1504 ein Panegyricus auf den Sieg Maximilians über ein böhmisches Söldnerheer am Wenzenberg bei Regensburg (19f.), wie denn im Umkreis Maximilians weitere panegyrische Eklogen entstehen (20-24). Bestimmend für die Eklogendichtung des Eobanus Hessus (1488-1540) ist dagegen die Darstellung autobiographischer Lebenszusammenhänge (24-26), während bei Euricius Cordus (1486-1535) in wesentlich realistischerer Weise auch soziale Probleme der Gegenwart angesprochen werden. Dagegen treten spezifisch humanistische und autobiographische Themen bei ihm zurück (27-30). Beziehungen zum Erfurter Humanistenkreis hat auch Joachim Camerarius (1500-1574). Er orientiert sich mit den zwanzig Texten seiner 1568 erschienenen Eklogendichtung weniger an Vergil als an Theokrit und erscheint daher auch als vielseitiger. Einen Überblick über den Inhalt gibt M. 32-39. Von besonderem Interesse sind die politisch-allegorischen Eklogen, die mehr oder weniger verschlüsselt auf Geschehnisse der Reformationszeit und des Bauernkrieges anspielen. Zeitgenössische Themen greifen auch die Eklogen des Georg Sabinus (1508-1560), Johannes Stigel (1515-1562), Johannes Major (1533-1600), Petrus Lotichius (1528-1560) und Johannes Bocer (ca. 1525-1565) auf, während andere auch christliche Inhalte einführen (48f.). Die die Einleitung abschließenden "Gattungsspecifica der Eklogen von Lemnius" (53f.) unterstreichen seine Vorliebe für Panegyrik in Abhängigkeit von Sabinus und Stigel. Auf den lateinischen Text mit deutscher Prosaübersetzung (55-159)2 folgt ein 'Editionsbericht' (160-163); der Text beruht auf der einzigen Ausgabe von 1550. Ein knapper 'Kommentar' schließt sich an (164-205). Er ist eher eklektisch als systematisch.3 Die Noten beschränken sich auf die Erklärung einzelner Realia und literarischer Anspielungen. Die Sprache der Eklogen ist nicht untersucht. Ein Literaturverzeichnis (207-215) und ein Verzeichnis der Eigennamen (ein Sachindex fehlt) schließen die Ausgabe ab.

 

Fragt man abschließend, welchen Gewinn die lateinische Schullektüre4 aus der Edition ziehen könnte, so kämen wohl kaum die panegyrischen Texte der Praefatio sowie der 4. und 5. Ekloge in Betracht, wohl aber die Pestschilderungen der 2. und 3. Ekloge, die zur vergleichenden Interpretation anregen. Einen Einstieg ermöglichen die knappen Hinweise im Kommentar 181. Die 3. Ekloge eröffnet außerdem den Zugang zum Textvergleich in der Gattung des Reisegedichts5 und des Städtelobs6.



Anmerkungen

 

1 Zuerst: Lemnius und Luther. Studien und Texte zur Entstehung und Nachwirkung ihres Konflikts (1538/39). 2 Bde. Bern u.a. 1983 (=Arbeiten zur Mittleren Deutschen Literatur und Sprache 14). Die weiteren Beiträge im Literaturverzeichnis der Ausgabe S. 213. 

 

2 Gerade eine Prosaübersetzung könnte sich jedoch gelegentlich stärker an den Ausgangstext anschließen, so v.a. in der Wortstellung. 

 

3 Die Sacherklärung versagt aber schon bei Wendungen wie multivagos menses im Einleitungsgedicht des Heinrich Pantaleon (V. 10). Der Sinn ist jedoch keineswegs 'dunkel' (so M. 166), sondern gemeint sind die Mondphasen, die Plin. nat. 2,41ff. ausführlich erläutert und ausdrücklich dabei bemerkt, daß sie den Erklärern Schwierigkeiten bereiteten (torsit ingenia contemplantium) und die abschließend (2,48) als lunae multivagos flexus beschrieben werden. Daß auch Lemnius seinen Plinius kannte, zeigt Praef. 86, wo der Ältere Plinius als Veronensis angesprochen wird, was sich wiederum aus Plin. nat. praef. 1 erklärt, wo er Catull als conterraneus bezeichnet. Eine der Pliniusausgabe von Brescia 1496 beigefügte Vita läßt ihn ebenfalls in Verona geboren sein (RE XXI 271). Hier korrigiert der Kommentator den Autor, ohne sich um eine Erklärung der Stelle zu bemühen. -- Zu Praef. 149: Lemmnius weiß aus Plin. nat. 3,62 (Neapolis, Chalcidensium et ipsa), daß die Kolonisten Neapels auch aus Chalkis auf Euböa kamen; für M. sind die geographischen Angaben 'rätselhaft' (171), obwohl er darauf hinweist, daß Pontanus in Neapel gestorben ist. Hilfreicher wäre der Hinweis, daß Pontanus seit 1448 am aragonesischen Hof in Neapel wirkte (Lexikon des Mittelalters VII 92). Diese willkürlich herausgegriffenen Beispiele zeigen, daß für eine Kommentierung der Eklogen, die diesen Namen verdient, noch so gut wie alles zu tun ist. 

 

4 Ein Überblick über neuere Arbeiten zur lateinischen Literatur der deutschen Renaissance-Humanisten, die für den Unterricht geeignet oder für ihn bestimmt sind, erscheint in der Zeitschrift 'Anregung' 1998. 

 

5 Das Material erschließt Wiegand, H.: Hodoeporica. Studien zur neulateinischen Reisedichtung des deutschen Kulturraums im 16. Jahrhundert. Mit einer Bio-Bibliographie der Autoren und Drucke. Saecula spiritalia 12. Baden-Baden 1984.

 

6 Dazu Classen, C.J.: Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. Beiträge zur Altertumswissenschaft 2. Hildesheim/New York 1980 (2. Aufl. 1986). 

 


Erschienen in der Zeitschrift "Gymnasium" 106, 1999, 166-168

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