St. Ratti: Les empereurs romains d'Auguste à Diocletién dans le Bréviaire d'Eutrope. Les livres 7 à 9 du Bréviaire d'Eutrope: introduction, traduction et commentaire. Paris (Les Belles Lettres) 1996. Annales Littéraires de l'Université de Franche-Comté, 604. 453 S.

 

Diese Dissertation der Universität von Besançon bietet neben einer ausführlichen Einleitung eine französischen Übersetzung der Bücher 7-9 des Breviariums, sodann einen Kommentar und im Anhang den Text nach Santini. Um den Unterschied zur Kommentierung von Müller aufzuzeigen, seien einige Stellen herausgegriffen. Den öfters behandelten Schluß des Werkes (10,18,3 reliqua stilo maiore dicenda sunt. quae nunc non tam praetermittimus quam ad maiorem scribendi diligentiam reservamus) wertet Müller unter Vergleich ähnlicher Formulierungen bei Velleius Paterculus als als topisch (2) mit der Bemerkung "muß jedenfalls nicht als wirkliches (=ernsthaftes) Vorhaben verstanden werden"; ähnlich am Ende des Kommentars. Warum jedoch Eutrop diesen "Topos" verwendet, fragt M. nicht weiter. Ratti (im folgenden "R.") dagegen gibt mit Hinweis auf Amm. 31,16,9 die zutreffende Erklärung: Die Darstellung der lebenden Kaiser ist Aufgabe der Panegyrik, nicht der Historiographie in Form eines Breviariums. Somit stimmt auch der von M. mit Velleius gezogene Vergleich nicht, da dieser für Tiberius de facto schon den Panegyricus geschrieben hat (ab 2,94). R. stellt das Werk des Eutrop hinein in den Literaturbetrieb der Zeit und zeigt die übliche Rollenverteilung: Der Panegyriker ist für die Bewertung der Gegenwart zuständig, der Historiker für die Vergangenheit. Bemerkungen zum Heidentum des Eutrop und zur Überlieferung seines Werkes schließen das 1. Kapitel ab.

 Kap. 2 und 3 sind der Quellenfrage gewidmet. Zunächst gibt R. einen Überblick über die Forschungsgeschichte, bei der die hypothetische "Enmannsche Kaisergeschichte" eine besondere Rolle spielt, aber auch die anderen erhaltenen und verlorenen (Nicomachus Flavianus) Historiker. Eine kritische Prüfung aller Hypothesen führt R. zu dem Schluß, daß die Enmannsche Kaisergeschichte die Hauptquelle für Eutrop gewesen ist (45).

 Das 4. Kapitel behandelt die Beziehungen zwischen der Biographie des Augustus und den res gestae Divi Augusti. Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der v.a. deutschen "Quellenforschung" des vorigen Jahrhunderts, die es im wesentlichen auf Abhängigkeiten und damit weniger auf das Textverständnis selbst abgesehen hatte, kann R. den Nachweis führen, daß es Eutrop bei seiner Darstellung darauf ankam, in keiner Weise den Ruhm des Augustus zu schmälern (die Varusschlacht und die Triumphe im Bürgerkrieg werden nicht erwähnt).

 Kap. 5 befaßt sich mit der Ideologie, die mit den Termini privatus, liberalitas und civilitas verbunden ist. So wird an Antoninus Pius und Mark Aurel als Zeichen ihrer liberalitas ihre Bereitschaft hervorgehoben, mit ihrem Privatvermögen öffentliche Aufgaben zu finanzieren. Das Prädikat civilis ist bei Eutrop allein dem Kaiser vorbehalten; diese Beobachtung ist wichtig für die Tendenz der Schrift. Bei M. dagegen fehlen weitgehend derartige Beobachtungen, etwa zur civilitas des Augustus 7,8,4. Dieser ist nicht "leutselig", wie M. übersetzt, sondern wird mit diesem Attribut als derjenige bezeichnet, der nach den Bürgerkriegen die Eintracht wiederhergestellt hat (R. 77f. mit Kritik an französischen Übersetzungen) und der sich mit den Bürgern auf eine Ebene stellt (80), während das andersartige Verhalten Caesars von Eutrop 6,25 als regia et paene tyrannica facere bezeichnet wird (bei M. wird in den Anmerkungen zu dieser Stelle nur die Frage nach der historischen Wahrheit aufgeworfen). Unter diesem Aspekt müssen auch die Aussagen Eutrops zu den alten republikanischen Einrichtungen Konsulat und Senat gesehen werden.

 Im 6. Kap. werden die bei Eutrop vorliegenden Bezeichnungen für die Tugenden und Fehler der Herrscher besprochen. Wieder verbindet sich sorgfältige philologische Beobachtung, übersichtlich in Tabellen zusammengefaßt, mit überlegter Schlußfolgerung zur Erhellung der Tendenz des Breviariums: In Hinblick auf die negative Charakterisierung, die Ammianus Marcellinus 26,6,8 von Valens gibt, kann der Text geradezu als eine Art Fürstenspiegel gelesen werden. So läßt sich auch die gewundene Formulierung der Widmung verstehen (M. geht darauf nicht ein). Besondere Aufmerksamkeit schenkt R. außerdem dem Begriff felicitas (101-110).

 Das letzte Kapitel der Einführung ist dem Thema "Eutrop und der Senat" gewidmet. Eutrops senatorischer Rang wie auch die aktuelle historische Situation des Jahres 369 mit den senatsfeindlichen Maßnahmen Valentinians bestimmen nach R. auch sein Urteil über die politisches Rolle des Senats.

 S. 123 bis 372 umfassen den Kommentar der Bücher 7 bis 9, der nicht nur an Umfang, sondern auch an Gewicht der wissenschaftlichen Diskussion die betreffenden Anmerkungen Müllers zwar nicht ganz überflüssig macht, aber doch weitgehend ersetzt Eine Bibliographie (mit starker Dominanz der französischen Forschung) sowie ein Namen- und ein Sachregister beschließen diesen wichtigen Beitrag zur Eutrop-Forschung. Leider ist die Broschur sehr fragil.



Erschienen in der Zeitschrift "Gymnasium" 105, 1998, 155-156

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