H. Seng: Untersuchungen zum Vokabular und zur Metrik in den Hymnen des Synesios. Frankfurt am Main/Berlin u.a. (Peter Lang) 1996. Patrologia, Beiträge zum Studium der Kirchenväter IV. 454 S. DM 118.-.

 

Die Forschung zu den Hymnen des Synesios ist in den letzten Jahren durch Ausgaben, Monographien und Kommentar (vgl. M. Erler, Gymn. 100, 1993, 459-461) zwar erheblich gefördert worden, doch bleiben für den Philologen wie den Philosophiehistoriker noch eine Fülle von Einzelfragen offen, so daß jede weiterführende und vertiefende Arbeit willkommen ist. Helmut Seng (im folgenden "S.") liefert mit seiner Mainzer Dissertation von 1995 einen solchen Beitrag. Einleitend (11-40) gibt S. einen ausführlichen Überblick über die Forschungsgeschichte zu den Hymnen. Der größere Teil der Arbeit gilt dann der semantischen Untersuchung von Begriffen, die nach Herkunft- und Sachgebieten geordnet sind: Der erste Bereich umfaßt die "Hymnische Formensprache und Verwandtes", der wiederum acht Sachgruppen von "Gottesbezeichnungen und -titel" bis zu "Anrede und Bitte an die Gottheit" enthält. Die Zusammenfassung dieses Abschnitts kommt zu dem Ergebnis, daß Synesios die Ausdrucksweise der griechischen Hymnodik in ihrer ganzen Vielfalt aufgreift. "Hiervon ausgehend ist Variation der vorgegebenen Wörter und Wendungen formales Hauptprinzip des dichterischen Arbeitens" (103). Kennzeichnend ist die "Wahl gerade sehr seltener Ausdrücke"; Hapax legomena greifen "typische Wörter, Motive oder Wortmuster" auf. Hinzu kommen "preziöse Formulierungen" (ibid.) und "außergewöhnlicher Wortgebrauch" (104). In diese sowohl traditionelle wie "außergewöhnliche und neuartige Prägung der Hymnen" werden diejenigen Ausdrücke integriert, "die anderen Überlieferungszusammenhängen entstammen" (ibid.). Das gilt nicht nur für Termini der Mysterienterminologie, in der seit Platon über die Philosophie gesprochen wird und wo bei der Verwendung durch Synesios die "Tendenz zum Exquisiten" (117) deutlich wird, sondern noch viel mehr von den Termini der bei den Neuplatonikern seit Porphyrios so außerordentlich geschätzten und in deren Schriften fragmentarisch erhaltenen, der Gattung der didaktischen Poesie zuzurechnenden "Chaldäischen Orakel" (119). Dieses Vokabular ist "philosophisch und poetisch zugleich und insofern seiner [sc. des Synesios, J.G.] Dichtung angemessen" (169). Damit beansprucht der Kyreneer aber auch "für das eigene Dichten die Autorität des für den späteren Neuplatonismus geradezu kanonischen Lehrgedichts" (170). Ein weiteres Kapitel ist den übrigen philosophischen Traditionen gewidmet, d.h. der eigentlich platonischen und neuplatonischen Tradition, wobei die Bezeichnungen für das höchste Prinzip mit so wichtigen Lemmata wie   (/En, Nou=j, oder die der geistigen Welt durch Ai)w/n besondere Aufmerksamkeit verdienen. Da die Lemmata in einem Verzeichnis (393-397) erfaßt sind, stellt die Arbeit zugleich ein unverzichtbares Repertorium für den neuplatonischen Sprachgebrauch dar. Was die Theologie des Synesios betrifft, so stellt S. zwar fest, daß "spezifisch christliche Gedanken quantitativ zurückstehen" (332) und gleiches für die Sprache der Hymnen gilt. Er fährt aber unmittelbar fort: "Gleichwohl kommt sprachlich wie inhaltlich den christlichen Elementen eine außerordentliche Bedeutung zu". Mit Vollenweider charakterisiert S. in Hinblick auf die Rolle des "Sohnes" in den Hymnen diese als "christozentrisch". Ob damit der von S. selbst (332) aufgezeigte Widerspruch gelöst ist, muß aus der Sicht des Rezensenten offenbleiben.

 

Der wesentlich kürzere 2. Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Metrik der Hymnen, ihrer systematischen Beschreibung, der Prosodie und den Akzentregulierungen. Auch hier erkennt S. etwa in der Entscheidung des Synesios für ungewöhnliche Metren denselben "Hang zum Exquisiten" (364), der auch im Sprachlichen zu beobachten war. Die gewonnenen Einzelergebnisse werden abschließend an der Interpretation des 8. Hymnus verifiziert. Ein umfangreiches Verzeichnis der Primär- und Sekundärliteratur (403-454) beschließt den Band. Die im Detail außerordentlich reiche Arbeit von S. vertieft oder berichtigt (z.B. 193 Anm. 102) nicht nur die vorliegenden Untersuchungen v.a. unter dem Aspekt des Sprachgebrauchs und der Metrik, sondern bietet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zu der noch lange nicht hinreichend untersuchten Terminologie der Neuplatoniker.


Erschienen in der Zeitschrift "Gymnasium" 105, 1998, 153-154

Zurück zur persönlichen Bibliographie